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MS-Forum Dr. Weihe

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Multiple Sklerose - kurz und bündig


3 Die MS unter dem Mikroskop

3.1 Was sind Typ-1- und Typ-2-Herde?

Bevor wir zur Diagnose der MS und vor allem zur Kernspintomographie kommen, lohnt es sich, einen Blick auf die neuropathologischen Veränderungen bei der MS zu werfen. In einer bemerkenswerten Arbeit, die 1999 in Brain erschienen ist, haben Wolfgang Brück und Claudia Lucchinetti die Gehirne von MS-Patienten untersucht und fünf unterschiedliche Arten von Herden gefunden, von denen zwei eine besondere Bedeutung haben:

Brück und Lucchinetti sind der Ansicht, dass sich die Typen 1 und 2 fundamental unterscheiden. Beim Typ 1 handele es sich wahrscheinlich um einen Angriff von Antikörpern direkt auf die Markscheide. Beim Typ 2 müsse jedoch ein grundlegend anderer Mechanismus angenommen werden, nämlich eine primäre Schädigung der Oligodendrogliazelle durch eine Virusinfektion, eine Vergiftung oder einen Stoffwechselschaden. Wenn sie recht hätten, wäre zu erwarten, dass die Betroffenen jeweils nur eine Art von Herden aufweisen. Das ist aber nicht der Fall. „Schwarze Löcher“ treten immer in Kombination mit „weißen Herden“ auf, weshalb es wahrscheinlicher ist, dass es sich um gleichartige Herde handelt, die sich nur im Grad der Zerstörung unterscheiden.

3.2 Es gibt vier unterschiedliche Arten von MS-Herden.

Werfen wir einen Blick zurück in die Vergangenheit. Die alten Pathologen hatten den frischen Herd, den „Schattenherd“, den chronisch inaktiven und den chronisch aktiven Herd unterschieden. Wenn wir dies mit den neueren Erkenntnissen kombinieren, dann erhalten wir die folgende Einteilung:

Wir werden diesen Herden bei der Besprechung der kernspintomographischen Veränderungen bei der MS wiederbegegnen.

3.3 Zerstört die MS auch die Axone?

Schon in den ersten Beschreibungen des MS-Herdes wurde darauf hingewiesen, dass im MS-Herd auch Nervenfasern (Axone) in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber dieser Befund schien ganz im Hintergrund zu stehen. Seit der Arbeit von Bruce D. Trapp, die 1998 im New England Journal of Medicine erschien, wissen wir jedoch, dass die Zerstörung von Nervenfasern unterschätzt worden ist.

Trapp hat eine sehr elegante Methode benutzt. Nervenfasern sind schwer nachweisbar, weil sie tausendmal dünner als ein Haar sind. Wenn sie aber geschädigt und durchtrennt werden, bildet sich an dem Ende, das mit dem Nervenzellkörper verbunden ist, eine knospenförmige Schwellung aus. Weil sie oval geformt ist, wird sie auch axonales Ovoid genannt. Es stellt den Versuch des Faserstumpfes dar, neu auszuwachsen. In dieser Knospe befinden sich Baustoffe für die geplante Verlängerung des Axons, die in heilen Nervenfasern nicht vorkommen, z.B. das Amyloid-Precursor-Protein. Dies kann mit einer besonderen Methode angefärbt werden. So können die geschwollenen Axonstümpfe sichtbar gemacht und ausgezählt werden. Die Zahl dieser axonalen Ovoide betrug in aktiven Läsionen 11.236 pro Kubikmillimeter, am Rand von chronisch aktiven Läsionen 3.138, im Zentrum von chronisch aktiven Läsionen 875 und weniger als 1 in der weißen Substanz von Kontrollgehirnen. Das heißt, es gibt Herde, in denen es kontinuierlich zu einem Untergang von Nervenfasern kommt. Ob es sich dabei vor allem um die Typ-2-Herde handelt, kann zur Zeit nur vermutet werden.

Aus dieser Sicht ist die Ruhe zwischen zwei Schüben trügerisch, weil die Krankheit unter der Oberfläche weiter schwelt, vor allem in den chronisch aktiven und den chronisch inaktiven Herden. Deshalb wird von einigen Ärzten empfohlen, mit einer immunmodulatorischen Therapie so frühzeitig wie möglich zu beginnen, um der Entstehung neuer Herde und damit einer Axonschädigung entgegenzuwirken. Ich komme im Therapiekapitel darauf zurück.

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